Paukenschlag aus Karlsruhe: das Bundesverfassungsgericht kippt in seinen Beschlüssen vom 12.11.2015, 1 BvR 2961/14 sowie 1 BvR 3051/14 zwei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg zur Heranziehung von Grundstückseigentümern aus Cottbus zu Kanalanschlussbeiträgen.
Der Sachverhalt
Kaum ein anderes Thema war in Cottbus und in der Region in den letzten Jahren von höherer Brisanz, als das Thema der sogenannten Altanschließer. Die Stadt Cottbus hat in den letzten Jahren mehrere 1000 Grundstückseigentümer zu Kanalanschlussbeiträgen auf der Grundlage von § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG) in Zusammenhang mit der entsprechenden städtischen Beitragssatzung herangezogen. Zahlreiche Betroffene haben gegen diese Bescheide Widerspruch eingelegt, waren aber vor dem Verwaltungsgericht Cottbus und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gescheitert.
In den jetzt vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fällen waren die Grundstücke der Beschwerdeführer bereits vor dem 3. Oktober 1990 an die Schmutzwasserkanalisation angeschlossen. Der Bescheid über den Kanalanschlussbeitrag erging erst im Mai 2009 bzw. November 2011.
Die Entscheidung:
Mit Beschluss vom 12. November 2015 hob das Bundesverfassungsgericht 2 Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg über die Festsetzung von Beiträgen für den Anschluss von Grundstücken an die Schmutzwasserkanalisation auf und verwies die Sachen zur erneuten Entscheidung zurück an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.
Zur Begründung führten die Verfassungsrichter aus, dass die angegriffenen Entscheidungen die betroffenen Grundstückseigentümer in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletze. Die mit Wirkung zum 1. Februar 2004 geänderte gesetzliche Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG sei zwar nicht formell rückwirkend in Kraft getreten, habe aber gleichwohl in den Fällen der betroffenen Beschwerdeführer materiell rückwirkenden Charakter. In den zu entscheidenden Fällen entfalte die neue Regelung daher eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Eine Veranlagung der Grundstücke der Beschwerdeführer zu einem Herstellungsbeitrag wäre rechtlich nicht mehr möglich gewesen, wenn es bei der damaligen Gesetzeslage geblieben wäre. Wörtlich führen die Verfassungsrichter aus:
„Wäre eine auf den 30. Juni 1993 – den Tag des Inkrafttretens der 1. unwirksamen Satzung -rückwirkende wirksame Beitragssatzung beschlossen worden, wäre die 4-jährige Festsetzungsfrist in Lauf gesetzt worden und Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31. Dezember 1997 eingetreten. Die Forderungen wären dann in der „juristischen Sekunde“ ihres Entstehens erloschen. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG neue Fassung eröffnete damit in Fällen, in denen Beiträge nach der alten Rechtslage nicht mehr erhoben werden konnten, erneut die Möglichkeit, die Beitragsschuldner zu Anschlussbeiträgen heranzuziehen.“
Der Rechtstipp:
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist wieder Leben und Hoffnung in die schon für tot geglaubte Altanschließerdiskussion gekommen. Mit der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts dürften sämtliche (noch nicht rechtskräftigen) Beitragsbescheide gegenüber Grundstückseigentümern, deren Grundstücke bis Ende 1999 an die Schmutzwasserkanalisation der Stadt Cottbus angeschlossen waren oder hätten angeschlossen werden können, rechtswidrig sein.
Möglicherweise können von dieser Entscheidung aber auch diejenigen Grundstückseigentümer profitieren, deren Beitragsbescheide rechtskräftig und damit unanfechtbar geworden sind.
Gemäß § 48 VwVfG kann die Behörde nämlich einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurücknehmen. Der einzelne Bürger hat zwar keinen Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, allerdings einen sogenannten Anspruch auf ermessensfehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich der Entscheidung über die Ausübung der Rücknahmebefugnis. Des weiteren kann der Ermessensspielraum der Behörde angesichts der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls auf Null schrumpfen, mit der Folge, dass eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes erfolgen muss.
Sie sind von einem Beitragsbescheid als Altanschließer betroffen? Sehr gern überprüfen wir Ihre Möglichkeiten, bereits geleistete Beiträge von der Stadt Cottbus wieder zurück zu verlangen.
Herr Peter Albert, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Miet-und Wohnungseigentumsrecht, ist bereits seit vielen Jahren im Bereich der Altanschließer-Problematik tätig und vertritt einige Betroffene.